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Stauning Whisky
Von kühnen Experimenten und Erwartungen und einer einzigartigen Idee in Dänemark.
Im Frühjahr 2005 trafen sich neun Freunde im friedlichen Mitteljütland, auf dem 55. Grad nördlicher Breite.
Nach langwierigen und gründlichen Diskussionen kamen die vier Ingenieure, der Lehrer, der Koch, der Fleischer, der Pilot und der Arzt schließlich zu einer Einigung.
Die Gefährten aus Rinkøbing hatten sich gefunden.
„Wenn Du eine Linie von Rinkøbing nach Westen ziehst, landest Du in Edinburgh mit nichts als Wasser dazwischen. Wenn die es dort können – warum sollten wir es dann nicht auch können?”
Mit dieser Frage von Martin Vesterby, seines Zeichens Arzt, begann die Geschichte der ersten dänischen Whisky Distillerie, beheimatet in der kleinen Ortschaft Skjern.
Mit begrenzten finanziellen Mitteln und nahezu ohne jegliche Fachkenntnis, jedoch mit grenzenlosem Enthusiasmus, bauten die “Freunde mit einer Mission” das Schlachthaus des Metzgers in eine Mikrodistillerie um. Sein Räucherofen wurde von nun an genutzt um das gemalzte Korn zu darren, ehemalige Küchenutensilien wurden zum Zerkleinern und Mahlen umfunktioniert und das alte Kühlhaus wurde nun zur Tenne.
Die einzige unvermeidliche Investition fiel für zwei (kleine) kupferne Brennblasen aus Spanien an – etwas, das schwer nachzubauen ist mit dem “was man gerade da hat.”
Inzwischen stehen diese Schönheiten im Besucherraum der heutigen Destille.
Wir treffen Henning Svoldgaard, CPO und Event Manager von Stauning (und ehemaliger Koch), in der Brennerei und während er uns herumführt, beantwortet er uns geduldig all unsere Fragen. Und natürlich testen wir uns durch das Stauning Sortiment – von Single Malt bis “Kaos”. Wen könnte man sonst fragen als den Kerl, auf dessen Volvo ein Heckaufkleber prangt, der verkündet:
„I make whisky for a living“?
Doch von vorne, denn als dieses Unterfangen losging, hätte sich Henning nie träumen lassen, einmal vom Whisky machen zu leben. Die Freunde wussten zwar, dass das dänische Korn und auch ihr Wasser von guter Qualität waren, das die salzige Seeluft, der Wind – und auch der Torf gute Grundbedingungen boten. Doch begannen sie ihr Experiment eigentlich nur um herauszufinden ob es denn tatsächlich möglich sein könnte… sollte es klappen, dachten sie an 200, vielleicht 300 Liter Whisky pro Jahr.
Doch dann kreuzte Jim Murray erst ihren Weg und dann ihre Pläne:
Wir schreiben September 2006.
Gerade hatten sie ihre erste Flasche abgefüllt, noch nicht einmal Whisky, sondern einen knapp einjährigen Brand, als plötzlich die Möglichkeit aufkam Jim Murray zu treffen, den weltbekannten “Hohepriester des Whisky”.
Und als der Priester folgende Worte sprach, war klar, dass eine verrückte Idee zu ernsthaftem Business werden würde. Seine Worte waren: „Das hat Potential! Es erinnert mich an Ardbeg aus den 70ern.”
Er rühmte zudem die Reinheit und Qualität der Destillation – und erwähnte mehr nebenbei, dass sie angesichts des berühmten dänischen Roggenbrotes doch vielleicht auch einen Rye in der Tradition amerikanischer und kanadischer Whiskys ausprobieren sollten…
Noch am selben Tag schrieben die neun Freunde neue Erwartungen in ihr Buch und beschlossen von nun all alles auf eine Karte zu setzen. Sie brauchten ein weiteres Jahr um die Finanzen zu sichern und schließlich die Farm zu kaufen, auf der Stauning bis heute beheimatet ist. Weitere 1,5 Jahre gingen ins Land, in denen sie die Farm so umbauten, dass sie künftig als Brennerei fungieren konnte. Doch schon mit dem ersten Sketch, während eines Meetings auf eine Serviette gezeichnet, wurde langsam eine ein Traum zur Realität.
Der 1. Mai 2009 markiert ganz offiziell den ersten Tag der Firmengeschichte von Stauning Whisky. An diesem Tag wurde Mogens, der Fleischer, der erste Angestellte der Firma. Und diese Firma hatte nun auch einen neuen Plan:
6000 Liter Whisky pro Jahr zu produzieren.
Henning zeigt uns die erste Lagerhalle, eine kleine Holzscheune. Knapp 200 Fässer liegen auf drei Ebenen, von denen die oberen fast die Dachbalken berühren.
An der hinteren Wand eine Fotografie, die den dänischen Prinzen Henrik bei seinem Besuch der Distille im Jahr 2014 zeigt.
Das Bild wirkt beinahe wie ein altes Gemälde und verstärkt noch den bescheidenen Charakter dieses Ortes – der Geruch des Holzes vermischt sich mit den Aromen der Whiskys -, während es gleichzeitig fast subtil das Vorhaben unterstreicht hier den Dänemark den vielleicht besten Whisky der Welt zu produzieren.
Viel hat sich geändert seit 2009 es ist nun wahrhaft spürbar wie hier alte Traditionen mit einer mutigen Vision für die Zukunft kombiniert werden. Direkt neben den alten Backsteinmauern der alten Farmhäuser, in denen sich nun die Besucherräume und ein kleiner Shop befinden, werden nicht nur die neue und wesentlich größere Brennerei gebaut, sondern zusätzlich auch mindestens drei weitere – im Vergleich zur kleinen Holzscheune gewaltige – Lagerhallen. Elegant mit gebranntem Holz und schwarzen Stahl verkleidet, mit einer massiven Glasfront für die Brennerei, die alle Vorbeikommenden mit einer glorreichen Aussicht auf die Prozesse und die Brennblasen begrüßt.
„Wenn Du die kleinen Häfen am Rinkøbing Fjord besuchst, sehen die Fischerhütten dort, in denen die alten Fischer ihre Netze und Habseligkeiten verstaut haben, genauso aus wie dieses Gebäude. Denn eine der Wahrheiten, derer wir uns sehr bewusst waren ist, dass wir keine schottische Distille in Dänemark bauen wollen. Wir bauen eine dänische Distille in Dänemark!”
Wir laufen durch die Tenne und Henning zeigt uns ihre sehr eigene Erfindung, einen “Automatischen Kornwender”. Als Mogens, der ehemals-Fleischer-jetzt-erster-Angestellter sich weigerte das Korn auf die schottische Art zu wenden (per Hand, mithilfe einer Schaufel), war es doch recht praktisch ein paar Ingenieure an Bord zu haben, die diese alte Tradition mal eben begraben und in die Moderne überführen konnten.
Ihre Erfindung führte dann auch tatsächlich zu einer offiziellen Einladung auf einer Whiskymesse in Kentucky ihr Wissen über das Mälzen zu teilen. Mit dem Gefühl doch eigentlich die absoluten Anfänger unter den Whiskyproduzenten zu sein, hätten sie fast abgesagt, als ihnen bewusst wurde, dass vor ihnen – in Jahrhunderten der Whiskyherstellung – niemand je auf diese Idee gekommen war! Und so flogen sie nach Kentucky.
Und um die Ecke zu denken blieb natürlich weiterhin ein fester Pfeiler in der Stauning-Art die Dinge anzugehen: Um das Korn zu trocknen, wird das heiße Wasser vom Brennprozess als heiße Luft wiederverwendet. Und selbst die Überreste des Maischens werden an einen lokalen Farmer verkauft, der damit seine Schweine füttert. Alles funktioniert als ein geschlossener Kreislauf und mit Ausnahme von etwas (sauberem) Kühlwasser produziert Stauning keinen Abfall.
So sehr Stauning die Geschichte von kühnem Experimentieren ist, so sehr ist es zugleich eine Geschichte von klaren Ideen und Visionen.
„Wir glauben fest daran, dass die Größe der Brennblasen einen direkten Einfluss auf die Qualität des Whiskys hat.“
Als Stauning also 2015 einen Deal mit dem Marktgiganten Diageo einging, waren zwei Bedingungen unumstößlich: Dass die neun Freunde die Mehrheit an ihrer Firma behalten würden und dass sie auch fortan mit kleinen Brennblasen arbeiten würden. Was einstmals 2 Brennblasen waren, sind nun 24 – doch arbeiten sie noch immer mit offener Flamme. Allein für die Schweißarbeiten in der neuen Brennerei benötigten bis zu 15 Arbeiter über 8 Monate, in denen über 13.000 Nähte geschweißt wurden. Und natürlich musste auch ein zweiter Farmer gefunden werden um den Bedarf an Getreide zu decken – doch bis heute verwendet Stauning ausschließlich dänisches Korn und auch das bleibt eine unabänderliche Tatsache.
In zwei oder vielleicht drei Jahren, sobald sie mit voller Produktivität arbeiten, wird Stauning im Jahr 3.300 Tonnen Getreide verbrauchen, mit den Maischeresten mehr als 4.000 Schweine füttern und insgesamt 4.500 Fässer mit 900.000 Litern dänischem Whisky befüllen.
Unfassbare Zahlen, wenn man an die neun Freunde und ihre Schnapsidee zurückdenkt. Oder in Hennings Worten:
„Auf jeden Fall frage ich mich hin und wieder: Träume ich das alles oder bin ich tatsächlich wach?“
Mit der Pipette tropft mir Henning einen einzelnen Tropfen Rye auf meine Hand, direkt aus der Brennblase entnommen. Mein Mund füllt sich mit einer warmen Wolke. Diese samtige, weiche und fruchtige Wolke hat 68,4% – ich kann es nicht fassen! Doch dieser erste Eindruck des Rye soll sich im “richtigen” Tasting etwas später bestätigen: super sanft und mit einem irrsinnig langen Ausklang. Obgleich ich sonst kein großer Fan von Rye bin, ist dieser eine erfreuliche Überraschung. Vielleicht ist es der entscheidende Unterschied, dass die „happy amateurs“ (der Name wurde ihnen von Jim Murray persönlich verpasst) ahnungslos wie sie waren, den Roggen gemälzt haben?
Es war 2011, als ihr erster „Young Rye“ fertig war. Und dieser Young Rye – gerade drei Jahre alt – mit dem Stauning am “Beverage Testing Institute” in Chicago bei der „International Review of Spirits“ in 2013 teilnamen, erhielt 96 Punkte. Er übertrumpfte damit nicht nur mal eben 17 Jahre alte Rye-Whiskys, nein: In den 30 Jahren des Wettbewerbs hatte es noch nie ein Rye geschafft, mehr als 95 Punkte zu erhalten. Und heute ist der Stauning Rye in der Barszene in ganz Europa für seine Weichheit und sein langes finish bekannt – damit ist er der perfekte Whisky für Klassiker wie den „Old Fashioned“ oder den „Manhattan“.
Ergänzend zum Rye (für 3-4 Jahre in frischen amerikanischen Weißeiche-Fässern gereift), stellt Stauning außerdem einen getorften Single malt (für 5-7 Jahre in Ex-Makers Mark-Fässern gereift), wie auch einen ungetorften Single Malt, ihren „Traditional“, her – üblicherweise alle mit 48-52% Alcohol denn…
„…wir finden: Hast Du einen Whisky, der etwas stark geraten ist, mache etwas Wasser hinzu – hast Du jedoch einen, der einfach zu dünn ist und kaum Geschmack besitzt? Dann gibt es nix, was Du tun kannst.“
Nachdem Probieren ihres Single Malt, von der Sorte “mild, fruchtig und easy to drink”, ist es Zeit für den getorften. Denjenigen, der einst Jim Murray an Ardbeg erinnerte und derjenige, auf den wir am gespanntesten gewartet haben. „Dänischer Torf?“ Ja, auch diese Frage wurde auf die Stauning Art gelöst: Rund 80km östlich von der Brennerei, liegt das Museum Klosterlund, das eine Ausstellung über die Geschichte des Torfs in der Region zeigt. Dort wird unter anderem auch erklärt wie der Torf in der alten Zeit hergestellt wurde. Dadurch ist das Museum faktisch der einzige Torfproduzent in ganz Dänemark – und nun auch Lieferant für Stauning.
Mit begrenztem Nachschub und dem Klimawandel am Horizont, hat Stauning allerdings auch begonnen mit Heiderauch aromatisierten Whisky zu produzieren, da Heidelandschaften das „true terroir“ der Region sind. Die Heide fügt eine grazile und sanfte, beinahe süße Rauchigkeit und bringt so vielleicht das purste geografische Geschmacksprofil für dänischen Whisky ins Glas.
„Und nun rieche das Kaos!“
Kaos? Nicht zu früh gefreut, es ist vielleicht eine der besten von Stauning’s Geschichten. In den 1930ern war Thorvald Stauning der Dänische Ministerpräsident. Der Slogan seiner Kampagne lautete: „Stauning eller Kaos!“, das man mit „Wähle Stauning oder Du kriegst Chaos!“ übersetzen kann.
Es ist tatsächlich ungewöhnlich für eine Whiskydestille beides zu produzieren, Rye und Single Malt. Und für die verrückten Freunde bei Stauning bot dies natürlich eine einmalige Gelegenheit. Sie dachten sich: „Wenn wir unsere drei Whiskys mischen, kriegen wir sicherlich Chaos!“ Gemacht, getan und der erste “Kaos” war geboren. In der letzten Auflage wurde sogar zusätzlich Heide verwendet. Nun gibt es also beides auf einmal: Stauning UND Chaos.
Der Geschmack? Auch hier langes Aroma, einige bittere Noten kombiniert mit honigartiger Süße. Und hier finde ich auch meine samtige Wolke wieder, die mich bei meinem ersten Tropfen Rye so umgehauen hat.
Momentan experimentieren die Staunings auch mit verschiedenen Fässern, Calvados, Mezcal oder Marsala. Und ich bin ziemlich sicher, dass niemand vorhersagen kann auf welche Ideen der dänische Haufen als nächstes kommt oder welche Neuerungen sie in der Zukunft erwarten. Was sich jedoch niemals ändern wird: Der “Cut” wird immer der Job eines einzelnen Mannes bleiben. Eines Mannes, der allein über “head”, “tail” und “heart” entscheidet.
Ein Mann, der es an jeder einzelnen Brennblase entscheidet. Und so bleibt die Geschichte von Stauning die Geschichte eines Mannes, unterstützt von seinen Gefährten und dem Vergehen der Zeit.
Bevor wir die Farm verlassen, sagt Henning noch etwas, das das letzte Stück zum Puzzle hinzufügt und viel aussagt über den Idealismus und das Vertrauen, das für diesen Job nötig ist. Es ist ein Satz, dessen Bedeutung ein wenig Zeit braucht um sich wirklich zu entfalten:
„Ich habe zwei Töchter und was ich ihnen immer sage ist Folgendes: Was ich hier tue, tue ich für Euch. Denn ich werde es nicht mehr probieren können, wenn es erst einmal wirklich gut sein wird.“
PHotoGRAPHY
Constantin Gerlach, Laura Droße
Text
Laura Droße