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Lisdoonvarna
Vom treffen einer Legende
„1953 wurde ich im ersten Stock der Roadside Tavern geboren.“
Was nach dem Anfang eines Buches über einen außerordentlichen Helden klingt, sei heute die Einleitung zu unserer persönlichen Erzählung über Peter Curtin, einem Mann mit vielen Talenten und noch mehr Geschichten. Wir wussten nicht, dass wir eine derart facettenreiche Person, vielmehr eine lokale Legende treffen würden, als wir an diesem Tag in Lisdoonvarna eintrafen, einem Dorf im County Clare, Irland. Einwohnerzahl 739.
Unser Weg führt uns aufgrund des „Burren Smokehouse“ nach Lisdoonvarna, weltbekannt für den besten geräucherten Bio-Lachs Irlands. Von Hunger getrieben lockt uns die Roadside Tavern, direkt neben der Räucherei. Noch bevor wir jedoch auch nur einen Fuß in die Taverne setzen können, werden wir von einem Kerl angehalten: Weiße Haare, irischer Akzent und äußerst neugierig: „Wer seid Ihr denn und was führt Euch hier her?“ Gerade so schaffen wir zu erklären, dass wir zwei Fotografen sind, unterwegs auf dem Wild Atlantic Way, da beginnt er schon seinerseits zu erzählen und wird erst drei Stunden (und viele Geschichten) später wieder aufhören… wir dürfen vorstellen:
Peter Curtin, oder in seiner Muttersprache Peadar McCruitin, müsste wirklich der Hauptcharakter eines Buches sein. Er gäbe einen famosen Piratenkapitän ab, den Anführer einer Streitmacht oder auch den Erfinder des Rades. Im echten Leben diente er in der Handelsarmee und ist inzwischen nicht nur der Inhaber der Roadside Tavern, sondern auch des Burren Smokehouse (dieses zusammen mit seiner Frau Birgitta), zudem Bierbrauer in seiner eigenen Mikrobrauerei und – nicht zu vergessen! – Vorsitzender der Burren Tolkien Society.
Da Gastfreundschaft einfach in der Natur der Curtins liegt, halten wir unser erstes Bier bereits in der Hand, noch bevor Peter seinen ersten Satz beendet.
Es stimmt im Übrigen tatsächlich: Peter Curtin kam 1953 in der ersten Etage, direkt über dem Pub, zur Welt. Sein Großvater Christopher Curtin, Bäckermeister, kaufte das Gewerbe 1893 und führte es zusammen mit seiner Frau als Bäckerei und Pub. 1944 übernahm ihr jüngster Sohn John, Peters Vater. Die Eisenbahn war mittlerweile auf dem Land angekommen und Lisdoonvarna gewachsen. Doch die große Nachkriegsdepression sollte noch folgen und seine Eltern mussten schwierige Zeiten überwinden. Stolz erzählt Peter, dass sie es dennoch schafften und die Roadside Tavern inzwischen der letzte „richtige Pub“ in Lisdoonvarna sei. Erst nach unserem Besuch wird uns bewusst werden, wie bekannt die Taverne tatsächlich ist, als ein Ort der das wahrhafte irische Lebensgefühl vermittelt und dadurch auch zahlreiche berühmte Musiker auf seine Dielen lockt!
Während wir uns über die sagenhaften Krabbenküchlein mit Fenchel-Limetten-Salat hermachen, zeigt uns Peter die Bilder, die hier jede einzelne Wand von oben bis unten pflastern. Viele berühmte Persönlichkeiten, die den Pub besucht haben, unter ihnen eine von besonderer Bedeutung für Peter: J.R.R. Tolkien ist auf einem der Schwarz-Weiß-Bilder mit einer Gruppe junger Iren zu sehen. Peter ist überzeugt, dass Tolkien die Landschaft des Burren als Hauptinspiration für sein späteres Werk herangezogen hat. Selbstverständlich kann er dies auch mit offiziellen Studienergebnissen untermauern! Für die Dauer eines Krabbenküchleins lauschen wir also dem Vorsitzenden der Burren Tolkien Society, bevor er sich schließlich wieder in den Pub-Besitzer verwandelt, der jede Person auf jedem Bild auf jeder Wand persönlich kennt. Für seine nächste Geschichte muss er sich allerdings kurz entschuldigen, ein Buch will geholt werden, bevor er weitererzählen kann. Wir nutzen die Gelegenheit für einen tiefen Atemzug und ein paar weitere Schlucke dieses besonderen Bieres… keine Angst, davon werden wir auch noch genauer berichten!
Sofort beginnt er nach dem entscheidenden Bild im Buch zu blättern: Jack Daulton nahm vor nunmehr 27 Jahren ein Portrait von Peter auf, als dieser gerade ein Bad im berühmten Spa von Lisdoonvarna nahm! Nicht wirklich ein Motiv, mit dem wir gerechnet hätten, doch wie uns nun klar wird ein Bild aus den goldenen Tagen der Fotografie: Am 17. Mai 1991 nahmen über 75 Fotografen in ganz Irland über 100.000 Fotos auf, welche für eben dieses Buch gedacht waren. „A Day in the Life of Ireland“, seinerzeit gesponsert von der Eastman Kodak Company und ein wunderbares Zeitdokument. Unnötig zu erwähnen, dass es mittlerweile auch unser Regal schmückt und wir jedesmal grinsen müssen, wenn wir das Badewannen-Bild erblicken.
Nach der Vorspeise folgt nun endlich der hochgepriesene heiß geräucherte Lachs. Gebettet auf einem Pürree aus Frühlingszwiebeln, mit gedämpftem Gemüse an einer cremigen Senfsauce. Ohne zu übertreiben: Unsere beste Mahlzeit in Irland! (Und dieses Urteil hat absolut nichts mit dem „Euphoria“-Bier zu tun!)
Das Lob gebührt wohl tatsächlich Peters Frau Birgitta, welche das Smokehouse im Tagesgeschäft leitet und Kieran O’Halloran, der lokale Bio-Zutaten im Pub einführte. Birgitta, gebürtige Schwedin, strandete im Jahr 1981 in Lisdoonvarna, als sie, gerade 18jährig, auf Europareise unterwegs war. Ob Peters Erzählkunst irgendwie damit zu tun hat, bleibt unklar. Tatsache ist jedoch, dass Birgitta und Peter 8 Jahre später, nach Peters Heimkehr aus der Navy, gemeinsam den Räucherprozess entwickelten und dabei die traditionelle irische Weise des Räucherns mit skandinavischen Methoden vermählten.
Zu Beginn wurde ihr Lachs ausschließlich im eigenen Pub serviert, schon bald jedoch in lokalen Restaurants und Hotels und inzwischen weit über die grüne Insel hinaus und sogar weltweit!
Das Smokehouse hat etliche Preise gewonnen, für seinen ökologischen Ansatz, wie auch als nachhaltiges Business und als Vermittler der irischen Kultur. Durch die biologische Produktion, bei der der Fisch ausschließlich natürliches Futter bekommt und in seinem Leben über 24.000km schwimmt, ist er gesünder, enthält weniger Fett, aber dafür mehr gesundes Omega 3. Pro Jahr werden im Smokehouse beinahe 40 Tonnen Fisch geräuchert. Die Tage, in denen Peter selbst fischte und Birgitta den Fisch eigenhändig verpackte, sind lange gezählt.
Bis heute kann Birgitta sich an ihre Kindheit in Schweden erinnern, als sie mit ihrem Vater nach Aal fischte und es zu beinahe jedem Familienfest geräucherten Aal oder Hering gab. Es ist die kombinierte Geschichte zweier Familien, die man nicht nur schmecken, sondern auch tatsächlich fühlen kann, wenn man das Smokehouse und die Taverne besucht.
Nun aber endlich zum Bier! Euphoria? Ja, das ist der Name, den sich Brauer Peter Curtin für sein sehr besonderes Bier ausgedacht hat, welches mit magischer Hefe von einem magischen Hügel versetzt wird.
Als Peter merkte, dass die irischen Pubs sich veränderten, wollte er ein Bier kreieren, dass wie kein anderes für die Besonderheit der Region steht. Es war im Frühjahr 2011, als er seine eigene Mikrobrauerei eröffnete, im Obergeschoss der Roadside Tavern, genau dort, wo er 58 Jahre zuvor zur Welt gekommen war.
Die „Burren Brewery“ war damals die erste Brauerei im County Clare und ist bis heute die kleinste professionelle Brauerei in ganz Irland.
Hier kreiert Peter ein „sehr irisches Bier”, nicht vom Hopfen dominiert, sondern von den echten Geschmacksnoten gemälzter Gerste. Im Angebot sind das Burren Gold Lager, das Burren Red Ale und das Burren Black Stout, eine Weiterführung der Original Stouts aus Zeiten von Peters Großvater. Nun, und dann gibt es noch das mysteriöse Euphoria, ein Gruit Bier mit wilder Hefe, welches ausschließlich hier in der Taverne gezapft wird! Für Peter ist die Brauerei seine „Berufung aus Leidenschaft“, ein ziemlich kompliziertes und wahnsinnig zeitaufwendiges Vergnügen, aber ein Vergnügen trotz alledem.
Nachdem unser Mahl verspeist ist, führt uns Peter eine enge geheime Treppe hinauf. Die Gäste, die dies kritisch beäugen, wünschen uns viel Glück für unsere sichere Rückkehr…
Ist Peter wirklich so riesig oder ist die Mikrobrauerei wirklich SO winzig? Wie dem auch sei, natürlich schaffen wir es sicher zurück, wo es nun leider an der Zeit ist die letzten Schlucke Euphoria zu kippen und uns auf den Weg zu machen. Peters Braugeheimnisse werden hier nicht verraten.
Kaum dass wir zwei Minuten an der frischen Luft stehen, kommt Peter angelaufen und nimmt uns das Versprechen ab ihm nur noch eben nach Hause zu folgen: Er muss uns unbedingt noch dieses andere Buch zeigen, dass auf jeden Fall „bei mir zuhause liegen muss!“.
Ganz ehrlich, wer könnte Peter Curtin eine Einladung ausschlagen? Eben. Und ein paar Minuten später sind wir auf einer ruckeligen Landstraße zu seinem alten Haus unterwegs. Noch bevor wir den Motor abschalten, hören wir Peters Hund Banjo „euphorisch“ bellen. Nur von Peter nirgends eine Spur… ein wenig fühlen wir uns wie Einbrecher, als wir durch die hinteren Räume des Hauses schleichen, bevor wir ihn schließlich in seiner großen Wohnküche finden, besagtes Buch in seinen Händen.
„Ireland“ von Dorothea Lange, eine wahrhaft wunderbare Dokumentation über das alltägliche Leben im Irland der 1950er.
Abgebildet ist das Irland von Peters Eltern, das Irland seiner eigenen Kindheit. Und wie wir ihm nun zuhören, in seinem eigenen Zuhause, überladen mit Zeitungen und Büchern und zahlreichen Erinnerungen, wird uns eines absolut klar: Seine Leidenschaft die Traditionen zu bewahren und all seine Erinnerungen weiterzutragen rührt aus einer tiefen Liebe zu diesem Land und zu Lisdoonvarna, wo seine eigenen Wurzeln liegen. Peter Curtin ist ein wahrer Schutzpatron dieses Dorfes und des Burren selbst.
Und in unseren letzten gemeinsamen Minuten zeigt er uns auf der Karte, wohin wir als nächstes fahren sollten und welche Orte wir „auf keinen Fall verpassen dürfen!“.
Es war uns eine wahre Ehre Mr. Curtin. Slán go foill. (Möge Dir ein langes Leben beschieden sein.)
PHotoGRAPHY
Constantin Gerlach, Laura Droße
Text
Laura Droße