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Fröstelnd erwache ich und schaue auf mein Telefon: 3°, 6:54, 10. Oktober. Ein kurzer Blick aus dem Fenster; Nebel zwischen hohen Kiefern, eine stille Armee irgendwo mitten in Schweden.
In unsere Schlafsäcke gekuschelt setzen wir Wasser auf und bereiten zwei Schalen warmes süßes Porridge zu, um Körper und Geist sanft zu wecken. Eine knapp dreistündige Fahrt erwartet uns, an deren Ende wir Joachim Segerstedt treffen werden, in der Kleinstadt Säter, 200km nordöstlich von Stockholm.
Ein paar Minuten nach Elf erreichen wir ein typisches rotes Holzhaus, die Tür dunkelgrün gestrichen, und noch bevor wir anhalten, kommt ein langhaariger Typ winkend und lächelnd auf uns zugelaufen – was für ein herzliches Willkommen. Und perfektes Timing für einen zweiten Kaffee!
Viele Jahre lebte Joachim in Stockholm und arbeitete dort als Barista, bevor er mit seiner schwangeren Freundin einen Ort suchte, an dem sie gut leben und in entspannterer Umgebung ihre Kinder großziehen könnten. Seine Eltern hatten ein Sommerhaus hier in der Gegend und so kam es, dass er der „Gamla Snickeriet“ in diesem 4.700 Seelen-Ort zu neuem Leben und einer neuen Bestimmung verhalf. Noch immer erinnert er viele der schier endlos scheinenden Sommer, die er in seiner Kindheit hier verbrachte.
Mit dem Umzug änderte sich vor allem die Taktung ihres Lebens, doch war es auch ein Wandel in den Prioritäten und vielleicht sogar in der Denkweise – ganz besonders in Bezug auf die Definition, was genau es ist, das einen guten Kaffee ausmacht oder worum es dabei wirklich gehen sollte.
Nach nun beinahe drei Wochen in Schweden ist uns bewusst geworden, dass die Kultur rund um Spezialitätenkaffee hier noch nicht so verbreitet ist. Vielleicht in Stockholm und Göteborg, doch definitiv nicht in den weiten ländlichen Gegenden. Wo „European Coffee Trip“ beeindruckende 60 Cafés nur für Berlin auflistet, werden für ganz Schweden gerade einmal 26 empfohlen…
Während er eine seiner eigenen Röstungen für uns brüht, beginnt Joachim uns seine ganz persönliche Kaffeegeschichte zu erzählen, in der es vor allem darum geht, Freude und Genuss in den Lebensalltag einer Gemeinschaft zu bringen.
Vor etwas mehr als 10 Jahren besuchte Joachim Freunde in Berlin, als Kreuzberg noch deutlich mehr Punkrock war und Specialty Coffee auch dort noch nicht wirklich angekommen. An irgendeinem Sonntag stolperte er mehr zufällig ins „Bonanza“, damals noch eine kleine Rösterei ohne Sitzplätze, bestellte einen Cappuccino – und das änderte für ihn alles:
„Nie zuvor hatte ich einen solchen Kaffee getrunken. Ich dachte „Okay, das ist einfach…next Level!“. Kaffee in Stockholm war damals wirklich schlecht, aber Kaffee in Berlin war übel! Und ich fühlte, dass ich meine Berufung gefunden hatte – das ist es! Endlich weiß ich, was ich machen will! Und ich dachte mir „Ich sollte einen Shop wie diesen in Stockholm aufmachen!““
Genau das tat er auch. Bei „Mogen & Grus“ servierte er den besten Cappuccino, den Stockholm je gesehen hatte aus Bohnen der Bonanza Rösterei. Es war ein sehr kleines Café, knapp 20qm in einer Seitengasse in Södermalm – und ausschließlich auf Kaffee ausgerichtet: „Es gab vielleicht ein paar Croissants, aber davon abgesehen einfach nur Kaffee. Eine richtig schlechte Geschäftsidee… “ erinnert Joachim sich lachend.
Schon damals war dieser Bezirk, der heut als die „Hipster-Insel von Stockholm“ weltbekannt ist, ziemlich unerschwinglich und 1000€ Miete nur mit Cappuccini einzunehmen ein finanzieller Trick, den er nicht wirklich beherrschte.
Er arbeitete irrsinnig viel, bot bald auch kleine Mittagssnacks an und die Leute liebten es! „Mogen & Grus“ wurde wohlbekannt für seine entspannte Atmosphäre und das Gefühl, dass man „nie genau sagen konnte, wer dort arbeitete oder einfach nur abhing“, wie es ein Gast einmal beschrieb.
Eines Tages lud ihn ein Stammkunde in dessen eigene Rösterei ein, die ein paar Kilometer außerhalb von Stockholm lag. Es wurde ein weiterer Tag, der ernsthafte Konsequenzen nach sich zog!
„Ich begann nachts dorthin zu fahren und Kaffee zu rösten, während ich tagsüber weiterhin Cappuccini im Café servierte. Ich wollte mehr über den kompletten Prozess lernen und es war wirklich befriedigend. Grünen Kaffee zu finden, ihn so zu rösten, wie es mir gefiel, und ihn dann in meinem eigenen Laden anzubieten. Damals wollte ich den Leuten vor allem zeigen, was Kaffee alles sein konnte! Irgendwann hatten wir zwei Espresso- und acht verschiedene Filter-Varianten!
Es war absurd!“
Wir schlürfen eine sanfte helle Röstung aus Guatemala, als Joachims Geschichte eine unerwartete Wendung nimmt: Nachdem er vier Jahre ohne Pause gearbeitet hatte, änderte ein Arztbesuch plötzlich alles, als der Arzt ihm mitteilte, dass er eine Herzoperation benötigte! Als alleiniger Inhaber konnte er es sich schlichtweg nicht leisten, eine Vollzeit-Vertretung einzustellen – und so musste er „Mogen & Grus“ von einem Tag auf den Nächsten schließen.
Und nachdem er sich von der Operation erholt hatte, wollte er nicht mehr zurück in ein Leben mit „übriggebliebenen Sandwiches häufiger als gewollt zum Abendessen“. Anstatt nach einem neuen Laden zu suchen, begann er also Vollzeit in der Rösterei zu arbeiten.
Ein regelmäßiges Einkommen, feste Arbeitszeiten, kaum noch schlaflose Nächte… ein guter Wandel für eine Weile. Durch das tägliche Rösten lernte er zudem auch die verschiedenen Stile, von hell geröstetem Natural bis zu Robusta-Mischungen für Italienischen Espresso.
„Du musst nicht alles gleichermaßen lieben, doch es ist gut alles zu kennen.“
Viele Lektionen später und mit einem neu erworbenen „Diedrich 2.5“ Röster zog er 2017 mit seiner Freundin nach Säter. Zu Beginn röstete er noch in seiner Garage, ausschließlich Spitzenkaffees für seine Kunden in Berlin und weltweit. Bis ihm eines Tages klar wurde, dass sich im Laufe der Jahre geändert hatte, was er eigentlich wollte. Und so fragte er sich, welche Rolle er dabei spielen könnte, das Kaffeeniveau in dieser Region voranzutreiben.
Seither ist es zu seiner Mission geworden, den Menschen in seiner Community, die bisher nur sehr dunkel gerösteten – oder manchmal schlicht verbrannten – Kaffee gewöhnt waren, einfach besseren Kaffee zu zeigen! Nicht, indem er ihnen sagt, dass sie es falsch machten, sondern indem er ihnen mithilfe seiner Fachkenntnis eine bessere Version des Kaffees anbietet, den sie gewöhnt sind.
„Das ist meine Idee davon ein super lokaler Röster zu sein: Nicht etwa, die Leute davon überzeugen zu wollen, dass man hell gerösteten Kaffee trinken muss, sondern viel eher ihnen zu beweisen, dass Kaffee besser schmecken kann, als der, den sie gerade trinken!“
Im Frühjahr 2019 erhielt Joachim schließlich die Möglichkeit diesen wunderbaren Ort zu mieten, die alte Schreinerei von Säter, auf schwedisch: „Gamla Snickeriet“.
Und es ist zwischen diesen alten Holzwänden, wo er nun seine eigene Variante einer dunklen Röstung, sowie eine mittlere und eine helle Röstung (benannt nach seinem Sommerhaus „Lerviken“) produziert. Er verwendet ausschließlich zertifizierte organische Kaffeebohnen und inzwischen beinahe gar keine „super besonderen oder verrückten“ Kaffees mehr, sondern stattdessen solche, die die lokale Community zufrieden stellen.
Hin und wieder öffnet er die Türen der alten Tischlerei und zeigt den interessierten Nachbarn, wie roher Kaffee eigentlich aussieht und wie der Röstprozess funktioniert.
„Einige Leute denken noch immer, dass ich gerösteten Kaffee in Italien kaufe, ihn hier nur noch mahle, in meine Tüten abfülle und so verkaufe! Und da frage ich nicht „Hast du schon mal eine helle Röstung aus El Salvador probiert? Die schmeckt nach Melone und Papaya!“ – Sie würden denken ich hätte Papaya in meinen Kaffee gemischt! Das ist übrigens auch der Grund, weshalb ich keine Geschmacksbeschreibung auf meine Verpackungen drucke…
…also ja, es ist ein super langsamer Prozess, den man aber irgendwo beginnen muss. Und deshalb verzichte ich inzwischen beinahe völlig auf helle Röstungen, zumindest für den Moment. Vielmehr versuche ich, die Leute an ihrem Ende der Bandbreite zu treffen. Total „unnerdy“, indem ich ihnen einfach das Verfahren erkläre.
9 von 10 Cafés, die seine Kaffees servieren, bieten die dunkle Röstung an. Wenn Menschen in ihr liebstes Café gehen, ihr liebstes Gebäck essen und dazu seinen Kaffee trinken, und wenn sie dann sagen „Das ist wirklich gut!“ und das Gefühl haben, dass sich ihr gesamtes Erlebnis gerade nochmal verbessert hat: Darauf legt Joachim inzwischen besonderen Wert.
Davon abgesehen hat er ein weiteres besonderes Kriterium für seine Kaffees: Er möchte morgens drei Tassen davon trinken. Sie sollen nicht zu intensiv sein, so dass er nach einer Tasse schon genug hat, und nicht zu säurelastig, so dass es ihm auf den Magen schlägt. Einfach ein frischer und klarer Kaffee mit einer angenehmen Süße für einen alltäglichen Morgen.
Und vielleicht wird sein „Jeder Morgen-Kaffee“ ein Sonntagmorgen-Genuss für ein paar der Leute, die momentan noch „Skånerost“ Kaffee* auf der Heizplatte gewohnt sind. Und natürlich kann er all sein Wissen in Bezug auf Mahlgrade und Wasserqualität und all die kleinen Dinge, die bei Kaffee den finalen Unterschied machen, mit denjenigen teilen, die der „Spezialitäten-Strasse“ doch ein Stück weiter folgen wollen.
Ein halbes Leben voller Kaffeewissen liegt hinter ihm, was ist also noch zu erwarten von diesem leidenschaftlichen Schweden?
„Nichts, das du tust, muss für immer dauern, wisst Ihr? Du kannst alles für eine Weile tun und wenn Du genug hast, machst Du einfach etwas anderes!“
Doch bis es soweit ist, findest Du Joachim und seine „Gamla Snickeriet“ hier: https://gamlasnickeriet.se
*Skånerost ist eine sehr dunkle Kaffeeröstung mit einer langen Tradition in Schweden. Sie ist so beliebt, dass Nescafé sogar Kapseln mit dieser Geschmacksnote anbietet.
Photography
Constantin Gerlach, Laura Droße
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Laura Droße