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Hummer fischen an
Schwedens Küste
Die Fischer der Schäreninseln
bei Göteborg
Port Said. Ein verheißungsvoller Name, der uns ein lang ersehntes Abenteuer verspricht.
In dicken Einteilern gut vor Wind und Kälte geschützt, klettern wir aufs Boot. Jan hat die Eimer mit Makrelen, mit denen die Käfige – „Hummertina“ – als Köder bestückt werden, schon aufgefüllt, Svenne trägt einen Korb mit Kaffee, Sandwiches und Bier für unseren Zwischenstop auf der Insel Vigna. Jan löst das Tau, Svenne dreht den Zündschlüssel und als er sanft den Gashebel runterdrückt, setzt sich die Port Said beinahe schwerelos in Bewegung. „A bit windy“ so Svennes Wetterbericht; ich muss die Augen zusammenkneifen, als wir Fahrt aufnehmen und Hönö langsam in der Ferne verschwindet. Es ist ein Bilderbuchtag für dieses Unterfangen!
Wo immer wir unterwegs waren in den letzten Jahren, zog es uns ans Meer. An diese wilde Weite, die vom Ufer betrachtet endlos scheint. An diese dünne Trennlinie zwischen der uns bekannten Welt unter dem Himmel und den blauen, bald schwarzen Tiefen des Ozeans. Das Thermometer zeigt 6°, das Licht der strahlenden Sonne wechselt langsam in seine winterliche Kühle. Die “Port Said” ist das Schiff, Modell Viknes 1030, das uns heute auf das Meer hinaus tragen wird, Svenne Hansson unser Kapitän.
Im letzten Licht des Vorabends sind wir mit der Fähre nach Hönö übergesetzt, auf die größte Insel im nördlichen Göteborger Schärengarten. Ein Jahr zuvor hatten wir im Sommer bereits einen Tag hier verbracht, das Naturschutzgebiet Ersdalen durchwandert und den Surfern in der tosenden Brandung zugesehen. Für einen Ausflug aufs Meer blieb keine Zeit, doch Hönö seither eine schöne Erinnerung, ein Herzchen auf unserer persönlichen google map. Und dieses Jahr schreiben wir dieses Kapitel endlich weiter.
Am 21. September 2020 startete die Hummersaison, in der ersten Woche ist wirklich jeder auf dem Wasser, der die Möglichkeit hat. Als Privatperson darf man 6 Reusen besitzen und viele nutzen diese Chance, obgleich die meisten es mehr als eine spaßige Tradition sehen, für eine oder zwei Wochen rausfahren, um das Meer im Anschluss wieder den Profis zu überlassen. Svenne nennt 40 Käfige sein eigen, und er muss sie für die touristischen Touren etwas näher an Land auswerfen, als er es eigentlich täte. Je nach Position seiner Reusen, die er penibel in den Computer eingibt und zusätzlich auch in seinem Logbuch notiert, fährt er jeden oder auch nur jeden dritten Tag raus, um den Fang zu kontrollieren und Köder nachzulegen.
Plötzlich geht alles ganz schnell, Hektik kommt auf. Zwischen den Wellen sehen wir rot-gelbe, vom Sonnenlicht ganz ausgeblichene Fishingboys schwimmen, kurze Befehle fliegen uns in Schwedisch um die Ohren, Svenne wendet und schon angelt Jan mit dem „Båtshake“ nach der Kugel und dem daran befestigten Tau. Mit einem harten „Pock!“ landet der Fishboy im Boot, während Jan geübt das Seil in die Winde legt und anfängt zu kurbeln. Kurz lässt er die Reuse aushängen und es ergießen sich literweise Wasser zurück ins Meer. Jan wuchtet die Hummertina auf die Sitzbank im Heck und ein mürrischer Laut ist zu hören. Nur Krebse. Wortlos nimmt er den Fang heraus, beäugt jeden einzelnen und wirft beinahe alle direkt wieder zurück ins Wasser. Wir beobachten schweigend.
5 Käfige hievt er hoch, das Krebsspiel wiederholt sich ein ums andere Mal… inzwischen wissen wir, dass nur größere weibliche Krebse mit brauner Unterseite behalten werden, da nur sie genug Fleisch bieten – und auch im Sinne der nachhaltigeren Fischerei. Ein Kabeljau ist diesmal auch dabei und wird als Abendessen für Jan in einen Eimer geworfen. Doch wieder kein Hummer. Jan befüllt die Boxen mit neuem Köder, Svenne studiert Meeresboden und Tiefe auf dem Monitor, um die neuen Auswurfpositionen zu bestimmen. Hummer mögen es gerne felsig, Svenne versenkt seine Körbe meist in 20-30m Tiefe. Die Zusammenarbeit aus Jahrzehnten ist spürbar, einsilbige Rufe, Boot hält, Käfig fällt, weiter. Ein gut geöltes Uhrwerk.
Wir fahren ein Stück weiter, die Stimmung droht zu kippen; plötzlich schwankt auch der Horizont beträchtlich, wir haben den Dreh mit dem Gleichgewicht noch nicht so wirklich raus.
Svenne lacht und merkt an „Not wavy!“
Käfig Nummer 6, inzwischen ist auch Svenne auf Deck und bedient die Seilwinde. Nur Krebse. Sein Gesichtsausdruck spricht Bände, wir versuchen uns möglichst unsichtbar und unauffällig zu verhalten. Pock! Der nächste Ball landet vor meinen Füßen und endlich der erlösende Triumphschrei: „Yes! Lobster!“ Deswegen sind wir heute hier! Jan greift den Hummer und reicht ihn weiter, Svenne misst die Länge. 9cm müssen es mindestens von den Augen bis zum Schwanz sein, sonst muss der Fang zurück in den Ozean. Der erste Hummer des Tages landet im hölzernen Hummerkasten.
Auch bei der nächsten Hummertina Freude: Sogar zwei Hummer! Was für wunderschöne Tiere, die Sonne glänzt auf dem schwarzen Panzer, elegant bewegen sich Scheren, Beine und Fühler – kurz hoffe ich sie sind zu klein…
Die Größe passt, jedoch: Auf der Unterseite kommen Eier zum Vorschein! Svenne erklärt, dass Hummer die Eier mehrere Jahre tragen, je nachdem wo am Körper sie sich befinden, kann man die Dauer erkennen. Ich bin verblüfft (und erfreut, dass dieser Hummer noch einmal davonkommt.) Zwei Hummer im Kasten, die Käfige frisch befüllt zurück im Wasser und ein Grinsen auf Svennes Gesicht: „Seid Ihr hungrig?“
Die Mittagspause nutzt Svenne für ein persönliches Highlight: Wir steuern Vigna an, das traditionelle Landungslicht Schwedens. 18km westlich von Göteborg markiert “Vigna Fyr” den Eingang zum Kattegat und zur Ostsee, gemeinsam mit seinem dänischen Gegenstück in Skagen. Zwei Leuchttürme wurden 1841 und 1854 auf Vigna errichtet, waren aber schon bald zu klein. 1890 wurde der ältere wieder komplett abgebaut, die Laterne des zweiten zu einem neuen „Wachturm“ umfunktioniert und schließlich der heute berühmte Leuchtturm Vigna Fyr errichtet. Ob er wegen seiner Lage so berühmt und beliebt ist, oder aufgrund der Geburt von Evert Taube im selben Jahr auf der Insel, bleibt Spekulation.
„Vigna ist sehr berühmt in Schweden, denn es gibt einen alten Mann, er ist inzwischen leider verstorben, Evert Taube, der sehr viele bekannte Songs geschrieben hat. Sein Vater war “Fyrvaktsmästare” – „Chef des Leuchtturms” – und sie lebten auf Vigna und wirklich jeder Schwede kennt ihn.“
Vigna ist knappe 7,5km Luftlinie von Hönö entfernt und gehört offiziell zum südlichen Schärengarten und damit zur Gemeinde Göteborg. Das alte Wohnhaus der Familie Taube wurde inzwischen in ein Museum umgewandelt. Seit 1948 ist der Leuchtturm elektrisch und seit 1974 wird er voll automatisiert aus Göteborg gesteuert. Für 2007 war eigentlich die Stilllegung geplant, was aber auf solch massiven Protest stieß, dass der Leuchtturm bis heute weiter betrieben wird. Das liegt dann wohl doch an Evert Taube.
Svennes liebstes Lied von Evert Taube gilt als so etwas wie das Nationallied des Bohuslän und heißt übersetzt treffend „Einladung zum Bohuslän“: „Inbjudan till Bohuslän“
Die Pandemie verhindert heute zwar einen Aufstieg auf den Turm, doch ist die Historie auch von außen spürbar, vermittelt der massive Steinbau eine Ahnung davon, wieviel von Schwedens Geschichte dieser Ort miterlebt hat. Wir machen einen kleinen Spaziergang um die Insel, kommen am Windmesser vorbei, der stündlich die Daten an den schwedischen Wetterdienst überträgt, die Svenne vor jeder Ausfahrt abfragt. Ich spüre: Auch Vigna gehört zu Svennes Biografie. Als wir den Hafen erreichen, hat Jan schon aufgetischt. Seeluft macht hungrig und ich erinnere mich an zahllose Meeresurlaube als Kind, an Picknickkörbe und Salz auf den Lippen.
Weiße Wolkenberge türmen sich so nah am Horizont, dass sie beinahe aussehen wie ferne Wellenkämme.
Svenne reicht uns noch einen Schnaps, bevor es zurück an die Arbeit geht. „Wir werden sehen, wie der Wellengang ist, wie es Euch geht. Wir werden sehen…“
Inzwischen kennen wir den Ablauf, verfolgen die Schritte routinierter, genießen die Zeit auf dem Wasser. Gesättigt und zufrieden bemächtigt sich ein leichter Übermut unser: Constantin rutscht bei hohem Wellengang mit dem perfekten Foto vor Augen Steuerbord fast über die Reling, während ich mir Backbord fast zeitgleich eine ordentliche Dusche abhole. Ich sehe es als Seemannstaufe und trockne mein Objektiv; das Salz brennt mir in den Augen. Wir fahren an einer Seehundbank vorbei und werden von dutzenden Knopfaugen neugierig angestarrt; und an einer Insel, die sie „lejonet“ nennen, den Löwen – und tatsächlich liegt sie beinahe sphinxartig im Meer und weist uns den Weg zurück.
Noch drei weitere Hummer werden in unserer Kiste landen, 10 Krebse am Ende mit uns an Land gehen, wovon zwei direkt an die Hummer verfüttert werden. Nur zögerlich setze ich meine Füße an Land, lasse die „Port Said“, die sanft im Abendlicht schaukelt, mit einer Mischung aus erlebnismüder Zufriedenheit und Wehmut zurück. Mit Endorphinen im Blut machen wir ein Gruppenportrait und merken erst am nächsten Morgen, dass wir das Boot darauf komplett verdecken.
Nach einer heißen Dusche wartet Svenne schon mit einem Festessen auf uns. Shrimps und Garnelen, sowie die von uns gefangenen „Krabba“, Taschenkrebse. Wir kennen bisher nur das Fleisch aus ihren Scheren, doch Svenne bestätigt, dass man durchaus alles essen kann, wenngleich „nicht jede*r den sehr speziellen Geschmack zu schätzen weiß“.
Ein kleiner Bissen Hönökaka mit Butter zwischendurch hilft.
Heutzutage fängt er viel Makrele, wenn er für sich und nur zum Spaß aufs Wasser fährt; Kabeljau gibt es erst weiter draußen. Der Klimawandel und die Versauerung der Meere bedrohen den Kabeljau, insbesondere in der Ostsee wird der Fang regelmäßig ganz verboten, um einen totalen Kollaps der Population zu verhindern. Doch für die Fischer an der Westküste war es ein gutes Jahr; man kennt sich, steht via facebook in Kontakt.
Svenne wurde mit Salz im Blut geboren, seine Familie verwoben mit dieser Insel, die schwedische Westküste seine Heimat. Sein Großvater Justus Hansson war Berufsfischer, sein Vater Bertil trat in dessen Fußsstapfen, wie später Svenne und sein Bruder Jan in die seinen. Nie verspürte er die Sehnsucht wegzugehen, etwas anderes zu machen. Nur in den Ferien geht es zum Skifahren nach Norwegen oder Italien, zum Golfen nach Spanien. Ansonsten verlässt er die Insel nur auf seinem Boot. Svenne gehört zu Hönö, wie Hönö zu ihm.
Die Geschichte der Fischerei reicht auf der Inselgruppe Öckeröarna („ein paar Öckerö-Inseln“) Jahrtausende zurück, begann direkt mit der ersten Besiedlung, als die Inseln nach dem Rückgang des Inlandeises entstanden. Nach der kleinen Eiszeit wimmelte es hier von Heringsschwärmen, aus dichten Wäldern wurden Boote und ganze Fischersiedlungen, die noch heute typischen kahlen und nunmehr waldlosen Klippen des Bohuslän entstanden.
Im Fischereimuseum im Hafen von Hönö Klåva hängen unzählige Schwarzweiß-Bilder aus vergangenen Zeiten. Gesichter, gezeichnet von Wetter und harter Arbeit; Seebären neben Jungs, die kaum der Kinderstube entwachsen waren. 1973, Svenne war 15 Jahre alt, begleitete er seinen Vater zum ersten Mal; sein Bruder Jan, 13 Jahre älter als er, hatte zu diesem Zeitpunkt bereits 15 Jahre Erfahrung und fischte mit Netz auf seinem eigenen Boot.
In der Nordsee und im Skagerak fingen sie vor allem Hering, ab 1980 auch Dorsch; das Schiff, die „GG 253 Port Said“, ein Trawler aus dem Jahr 1966 mit 30 Meter Länge. Vier oder fünf Tage auf See mit einer Crew von acht Mann, gefischt wurde Tag und Nacht, das Boot und die Crew wurden Zuhause und Familie. Das ist es, was man auf den Portraits im Museum sieht, das ist es, was man aus Svennes Worten hört: Fischerei ist für ihn nicht Beruf oder Berufung, sondern seine Art zu leben.
„Jan ist inzwischen 75 Jahre alt, er fischt seit über 60 Jahren, doch er macht immer noch weiter!“
Svenne und Roger, Nachbarn seit Jahrzehnten, hegten lange den Traum, selbst Inselbesucher hier willkommen zu heißen und ihnen ihre Liebe zum Leben auf der Insel nahe zu bringen, einem Leben mit dem Meer als steten Begleiter, zu allen Seiten, zu jeder Zeit.
Die goldene Äre der Fischerei ist vorbei, aus einst über 14.000 kommerziellen schwedischen Fischern sind nur noch knapp 1.000 übrig, strengere Fangquoten und das wandelnde Klima verschärfen die Bedingungen Jahr für Jahr. 2009 öffnete sich für Svenne eine Tür, die zu durchschreiten er seither keinen Tag bereut hat. Jan war (offiziell) in den Ruhestand gegangen, die Crew auf 3 Mann geschrumpft und Svenne vermisste den sozialen Aspekt in seinem Alltag, seine Familie. Als die EU eine Subvention anbot, um die Zahl der kommerziellen Fischer zu verringern und so auch eine nachhaltigere Fischerei zu fördern, während zeitgleich der Tourismus auf dem Archipel spürbar zunahm, war es an der Zeit und Svenne hob die alte „Port Said“ ein für alle Mal an Land.
Mit Roger, ehemaliger Mechaniker und gelernter Schreiner, baute er das alte Bootshaus zum „Havskatten Hotel & Hostel“ um und Svenne machte eine Weiterbildung im Tourismus. Gemeinsam vermieten sie nun 12 Zimmer, bieten Fishing-Trips, Seehund-Safaris und Freediving-Kurse mit Anneli Pompe, der Weltrekordhalterin, auf der neuen „Port Said“, einem wendigen Motorboot von knapp 10m Länge mit Platz für maximal 12 Leute – dann wird allerdings der Platz für die Hummerreusen schon knapp. Svenne ist dankbar dafür heute weiterhin seine Leidenschaft ausleben zu können, statt in Rente zu sein. Roger und er überlegen Jahr für Jahr, ob sie noch Lust darauf haben; ob Svennes Sohn John, der gerade auf dem Festland studiert, vielleicht irgendwann übernimmt, ist ungewiss. Sie nehmen alles, wie es eben kommt, sei es Wind oder Leben.
Svenne ist zufrieden, plant bereits das kommende Jahr. Der Tourismus an der Westküste wird nach und nach ausgeweitet, die Saison verlängert; die Schäreninseln versprechen eine Zukunft und weniger junge Leute verlassen die Inseln. Knapp 5.300 Menschen leben auf Hönö, knapp 13.000 insgesamt in der Gemeinde Öckerö; der Zusammenhalt is hoch, man achtet aufeinander.
„Diese Tür schließen wir niemals ab. Sie steht immer offen. Und sie soll auch in 10 Jahren noch offen sein.“
*Die alte Port Said liegt heute in Thyborøn an der dänischen Westküste an Land und wird gerade kopfüber in das Restaurant „Mallemukken“ umgebaut, das 2021 eröffnen soll.
PHotoGRAPHY
Constantin Gerlach, Laura Droße
Text
Laura Droße